In Nullkommanichts vergehen diese Tage - neben kleinen Ausflügen in die Stadt und in die Parks der Vorstadt nutze ich die Zeit aber auch, um endlich wieder auszuschlafen. Außerdem habe ich Zeit, um mit meiner Vermieterin längere Gespräche beim ausgiebigen Frühstück zu führen. Sie ist daran interessiert, was ich in Cleveland so mache und möchte mehr über meine psychiatrische Arbeit in Deutschland wissen. Dann berichtet sie schließlich von ihren familiären Erfahrungen und Kenntnissen der Psychiatrie hier in den USA.
Ein Ausflug in den Park "Lake View"
Die meisten anderen der Hausgäste sind nur eine Nacht da und auf der Durchreise. Ich mache die Bekanntschaft mit Jamie, ich nenne ihn den "Bananenmann". Er kommt aus dem Süden der Vereinigten Staaten. Begeistert erzählt er mir, dass er schon mal in Deutschland war und im Schwarzwald Ski gefahren ist. Er ernährt sich fast nur von Bananen (bis zu 15 Bananen am Tag, da er grundsätzlich fast nur Früchte ißt und Bananen, im Gegensatz zu den anderen Früchten super billig sind). Dann wieder treffe ich auch zwei Holländer - Koen und Theun, die mit dem Fahrrad durch die Staaten touren und hier am Eriesee weiter nach Kanada wollen. Oder auf ein indisches junges Paar, die in Pennsylvenia Ingenieurwesen studieren und in der Nähe von Cleveland Freunde besuchen. Mehrere Monate jedoch wohnt hier schon eine junge Frau, Mathleen, deren Familie in San Franzisko wohnt und die in Cleveland eine Ausbildung macht. Marie Ann und sie haben fast eine Mutter - Tochter - Beziehung. Sie fährt aber am Memorial-Day nach Hause, da dieser Tag ein wichtiger Tag innerhalb der Famlie ist.

Mir macht es Spass, immer wieder neue Kontakte im Haus von Marie Ann zu knüpfen. Und ich glaube, es ist typisch für das Leben in Cleveland, wahrscheinlich für das Leben überall in den USA. Man trifft auf Menschen aus der ganzen Welt und allen Kontinenten, sie bringen ihre Kultur mit, sodass die vielfältigen Einflüsse nicht zu übersehen sind und irgendwie integriert werden müssen. Jeder Stadtteil hat augenscheinlich, schon in der Gestaltung der Häuser und Strassen, einen anderen kulturellen Hintergrund. Dadurch entstehen aber auch enge kulturelle Gemeinschaften, die ihre Kultur "konservieren" und versuchen, diese intensiv zu leben.
Leider muss ich die Tage auch nutzen, um in meiner Zeit in Cleveland umzuziehen. Als ich mein Zimmer bei Marie Ann im April mietete, war leider noch nicht klar, was ich in der zweiten Hospitationswoche genau machen würde, sodass ich mich noch nicht festlegen konnte und wollte. Als ich später nachfragte, war das Zimmer bei Marie Ann leider schon vergeben, sodass ich meine Wohnmöglichkeit doch nochmal wechseln muss. Sonntagmittags mache ich mich deshalb bei ca. 30 Grad mit meinem Koffer wieder auf den Weg. Die kleine Wohnung unterm Dach eines dreigeschössigen Hauses hat diesmal Air-Condition und ich habe sie für mich allein.
Am Memorial-Day sollen in der Stadt Paraden und Umzüge stattfinden. Die will ich mir nicht entgehen lassen. Bisher hatte ich überhaupt keine Probleme, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen und konnte täglich pünktlich am gewünschten Ziel ankommen. Auf diese Zuverlässigkeit kann ich am Wochenende nicht bauen. Ich warte manchmal bis zu einer Stunde auf einen Bus, am Memorial - Day habe ich den Eindruck, die Busse fahren überhaupt nicht. Irgendwann habe ich keine Lust mehr zu warten und breche deshalb irgendwann den Versuch, mit dem Bus die Innenstadt zu erreichen ab. Ich entscheide mich, einen Ausflug in den Park "Lake - View", der in der Nähe liegt, zu unternehmen. Dort wurden wichtige kulturelle und politische Persönlichkeiten beerdigt und es sind viele Denkmäler aufgestellt. Ein strahlend blauer wolkenloser Himmel - Temperaturen um die 30 Grad - und die Stille des Parks machen diesen Teil des Tages zu etwas Besonderem.
Dennoch stoße ich auch in diesem Park auf meine Grenzen. Da die Amerikaner überhaupt nicht davon ausgehen, dass jemand Spass daran haben könnte, den Park zu Fuß zu erkunden, sind auch keine Gehwege eingeplant. Die Gäste des Parks fahren alle in ihren PKW's durch den Park, halten an wichtigen Denkmälern zwischendurch mal an und fahren anschließend - nach gebührender Fotosession wieder weiter. Ich versuche, möglichst gefahrenfrei, dem Verkehr entgegen zu laufen. Dennoch habe ich immer wieder den Eindruck, dass mir entgegenkommende Fahrer regelrecht erschrocken sind, mich zu sehen und einen riesigen Bogen um mich machen.
Den Tag lasse ich mit einem kühlen Getränk in einem Biergarten an der Conventry - Road ausklingen.
Birgit Hahn
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