Den Weg zur Klinik finde ich mit der Wegbeschreibung sehr gut. Die Busverbindung ist entgegen aller Vorhersagen hervorragend. (Leider stehen jedoch an den Bushaltestellen keine Abfahrtszeiten - diese sind nur über googlemaps herauszufinden !!!) Auch das department for bioethics ist schnell gefunden.

"Bioethics - department"
Das erste Hindernis lässt dann aber nicht lange auf sich warten: die Tür zur Abteilung ist verschlossen. Einem Hinweisschild entnehme ich eine Telefonnummer, die man in diesem Fall anrufen soll. Die nette Stimme am anderen Ende der Leitung sagt (wie auch in allen Tagen danach): "give me 15 seconds" und legt auf. Nach 15 Minuten Wartezeit hat sich zwar immer noch nichts getan, es kommt aber eine Mitarbeiterin mit Keycard aus dem Aufzug, der sich ein paar Meter weiter befindet. Sie nimmt mich netterweise mit hinein, als ich ihr mein Anliegen und den Beginn meines internships (Hospitation) erklärt habe. Ich solle in einer Wartezone warten, sie will sehen, was sie für mich tun kann.
Leider sind meine bisherigen Kontaktpersonen, PhD Paul Ford und Erika Coleman noch nicht anwesend, sodass zunächst niemand so recht weiß, was mit mir anzufangen ist. Doch nach einer weiteren halben Stunde des Wartens geht dann alles ganz schnell. Mir wird die confidentiality form (Schweigepflichtserklärung) vorgelegt. Danach soll ich doch bitte mitkommen.
Das meeting, an dem ich zunächst teilnehmen kann, findet wohl jeweils am Anfang einer neuen Woche statt. Die consultation cases der vergangenen Woche, die nicht abgeschlossen werden konnten, werden kurz vorgestellt und besprochen. Dabei nehmen nach Möglichkeit alle Mitglieder des department for bioethics an diesem meeting teil. An diesem Montagmorgen werden nach meiner Einschätzung interessante Fälle besprochen. Da geht es beispielsweise darum, dass eine notwendige Behandlung nicht bezahlt werden kann oder eine junge Frau mit psychiatrischer und somatischer Erkrankung das Krankenhaus verlassen soll, weil nach Aussage der psychiatrischen Abteilung keine Behandlungsnotwendigkeit besteht, die innere Abteilung sich den Herausforderungen einer psychiatrischen Patientin jedoch nicht gewachsen fühlt. Das kommt mir doch vertraut vor. Der letztere Fall hätte sich doch genausogut irgendwo in Deutschland abspielen können ...
Martin Smith, STD, mein Anleiter für diese Woche erklärt mir, dass er in dieser Woche den Rufdienst hat und mich während der ganzen Woche gerne zu den Beratungsfällen mitnimmt. Zusätzlich kann ich an klinischen meetings teilnehmen, wenn wir keine Patientenfälle aufsuchen müssen.
Am ersten Hospitationstag kommen wir auf fünf Patienten Cases, zu denen wir unterwegs sind. Aufgrund der langen Tradition in der Cleveland Clinic, ethische Fragestellungen durch die Abteilung der Ethik in die Behandlung mit einzubeziehen, herrscht aus meiner Perspektive und Wahrnehmung eine große Akzeptanz für diese spezielle Expertise. An die für mich neue Herangehensweise muss ich mich erste gewöhnen. Während ich in Deutschland den ethischen Beratungsdienst in Form von einzelnen Roundtable-Gesprächen kennen gelernt hatte, finde ich hier eine ganz andere Arbeitsweise vor. Der Rufdienst funktioniert wie eine Art Beratung durch den ganzen Fall hindurch. Jeder Mitarbeiter, der in einen Fall involviert ist, aber auch Patienten selbst und die Angehörigen, können den Rufdienst anfordern. Vom Augenblick der Inanspruchnahme bis zur Entlassung des Patienten ist der ethische Berater wie ein Teil des Behandlungsteams selbstverständlich in den Fall involviert. So berät der Mitarbeiter, der den Rufdienst in der Woche hat, den anfordernden Mitarbeiter, regt u.a. Familiengespräche oder Roundtable-Gespräche der Station an oder erinnert beispielsweise daran, dass Patienten oder Angehörige über getroffene medizinische Entscheidungen informiert werden.
Alles in allem ein voller erster Tag. Wir sprechen mit nurses, attending oder resident physicians oder socialworkern und casemanagern. Die Gespräche, die i.d.R. zwischen Tür und Angel geführt werden oder in kleinsten Nischen an irgendeinem desk werden als "brainstorming" Gespräche bezeichnet. Ich habe den Eindruck, dass der Mitarbeiter der Ethik in den einzelnen Patientenfällen den involvierten Mitarbeitern immer wieder Mut macht, den im vorliegenden Fall besten Weg für einen Patienten zu finden, für Transparenz in einem schnellen und komplexen business sorgt und durch seine Funktion auf Kooperation und enge Zusammenarbeit setzt.
Abends fahre ich mit einem Kopf voller Ideen und vielen Fragen wieder in meine Unterkunft. Mir hat die Art und Weise, wie an der Cleveland Clinic ethische Perspektive und Expertise gelebt wird, gut gefallen und ich bin gespannt auf einen deeper view.
Birgit Hahn
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